Re: Räuber in der Stadt
von Shini & Sid » So 11. Mär 2012, 16:47
Luka lag auf dem Rücken und starrte in den Nachthimmel. Es kam Nebel auf und er konnte nichts weiter sehen, die Bäume, das Gras, die Stelle, wo das Feuer gewesen war. Er sah auch nicht die Anderen. Alles lag in einem vagen Dunst.
Doch sie waren noch da. Ein vertrautes Schnarchen durchschnitt die Stille, wie ein Säbel, der laut und dröhnend durch den Urwald peitschte. Er kannte dieses Schnarchen schon seit einigen Jahren, seit er Lilly damals als kleines, dreckiges und zerzaustes Straßenmädchen aufgelesen hatte. Er strich sich mit der Hand den Tau von der Stirn und rollte sich auf die Seite. Vielleicht konnte er noch etwas schlafen.
Verwirrt runzelte er die Stirn. Irgendetwas fühlte sich anders an als sonst. Stein Arm strich über etwas weiches, zugleich aber irgendwie festes. Es bewegte sich etwas, wenn er es berührte.
Und es saß unter seiner Kleidung. Erschrocken zuckte Luka hoch und versuchte es wegzudrücken, doch er spürte nur ein ziehen in der Brust. Das Vieh das ihm unter die Klamotten gekrochen war hatte sich festgebissen. Bestimmt war es irgendwas mit einem saugnapfartigen Maul, das gerade an seinem Blut schlürfte. Er sprang hoch und griff nach dem Parasit, packte ihn und versuchte ihn abzureißen.
Doch der Parasit wehrte sich. Und er hatte Zähne. Zähne die er auch benutzte. Und gerade stieß er sie alle gleichzeitig in Lukas Oberkörper, als dieser an dem Parasitenhintern riss.
„KYYYYYYYYYYYYYYYYYARGH!“ würgte er hervor, bis der Ton sich immer heller in die Luft schoss und sich dort zu etwas schrillen steigerte, das Luka noch nie aus seinem Mund gehört hatte. Er war so erschrocken, das er abrupt zu schreien vergaß, während das Echo seines Kreischens sich wie ein getretener Kolibri höher und höher in den Himmel schraubte.
Wie von Kriegsgeschrei alarmiert, sprangen die Anderen auf, und gingen in Kampstellung. Soll heißen: Fio holte ein verstecktes Messer hervor, Lilli packte eine Waffe an ihrem Rücken, Sid sprang auf und stolperte panisch zu Fio und der Held griff nach seinem Schwert - das seltsamerweise nicht mehr dort war, wo es sein sollte. Er war es auch nicht. Verwirrt sah er sich um. War er nicht dort drüben eingeschlafen?
Aber dort, wo er eingeschlafen war, stand etwas im Dunst und schrie einen Laut, der nichts Menschliches mehr an sich hatte.
Der Held stand dort und blickte in den Nebel. Er blinzelte. Starrte. Dann öffnete er den Mund und formulierte ein „Äh?“, das es nicht aus seiner Kehle schaffte. Schließlich schrie er selbst, ein Schrei der sich bald mit dem Anderen vermischte. Das was dort im Nebel mit dem Rücken zu ihm stand war er selbst. Sein Spiegelbild wirbelte herum, starrte ihn froschäugig an, sein Kinn klappte herunter und dann reagierte auch sein Doppelgänger: Er schrie - Beide schrien. Fio stand noch immer in Kampfstellung. Das Messer gezückt, die Muskeln in Bereitschaft gespannt, doch die Absicht zu kämpfen hatte sie längst vergessen. „Was zum.. ?“ Sie schaute zwischen Luka und ihrer Schwester hin und her. „Scheiße verdammt, spinnst du, - warum kreischst du so und zerrst dir an den Titten wie ein wildes Pavianweibchen, - und warum zur Hölle machst DU dabei auch noch mit?“ Sie fixierte Luka. Dann seufzte sie noch einmal resigniert und steckte das Messer weg.
Sid hingegen schien die Situation ganz anders zu bewerten. Die Situation, die Fio eben noch als ungefährlich eingeschätzt hatte, trat nun dunkel und in seiner ganzen Bedrohlichkeit aus dem Nebel. Dort, wo der Dunst sich lichtete, war kein Dschungel mehr. Nebel schwappte über den Boden, einen Boden, auf dem der eindeutig kein Gras mehr war und der so aussah, als würde nie wieder etwas auf ihm wachsen. Ein dunkles, riesiges Schemen erhob sich direkt hinter ihnen weit in den Himmel. Sid kniff die Augen zusammen und versuchte, etwas zu erkennen. Hohle Augen starrten zurück. Ein Gesichtsloses Grinsen erwiderte seinen Blick. Darunter und daneben waren noch mehr Augen, Münder und Teile von Gesichtern. An einigen hing noch etwas Haut. Die meisten waren zu einem stummen brüllen aufgerissen. Ab und zu ragte ein Arm hervor, der sich mahnend gegen den Himmel richtete. Und ein paar rissen ihre toten Augen auf, während Sid seinen Blick über die verstümmelten Körper gleiten ließ.
Panik griff mit kalter Hand um Sids kehle, doch ehe sie zugreifen konnte, zerriss ein dritter, unwirklicher Schrei die Nacht.
Erneut wirbelte Fio kampfbereit herum, während die lockige Lilli, die die Situation ebenso wenig wie Fio begriff, gleichgültig mit den Schultern zuckte und einen vierten Schrei erklingen lies, der sich übermütig und kriegerisch zu den anderen Schreien gesellte.
Waren denn jetzt alle verrückt geworden? Entnervt sah Fio zischen ihren Gefährten hin und her, konnte aber immer noch keinen Grund für ihr verhalten ausmachen und gab schließlich die Kampfbereitschaft auf. Dann entdeckte sie Sid, der festgewurzelt auf der Stelle stand und immer noch in das Dunkle starrte. Sie folgte seinem Blick und erkannte eine Trümmerwüste, die im dunklen Nebel döste. Ein Ort, den das Licht anscheinend vergessen hatte und der nur aus Asche und Staub zu bestehen schien.
Nur was Sid anstarrte war weder Asche noch Staub.
Vor ihm erhob sich eine gewaltige Säule aus Gesichtern, Knochen und skurril verdrehten Gliedmaßen.
Mit zitterndem Körper stand der unter einem gewaltigen Tor, das von diesen Knochen getragen wurde.
Panisch wollte Sid einen, nein, besser viele, Schritte zurück machen, doch in einer Angst stolperte er in die falsche Richtung. Und machte einen Schritt unter das Tor. Innerhalb von Sekunden war die eben noch von bedrohlicher Stille untermalte Umgebung mit Geschrei und Stöhnen erfüllt. Die Skelette und Leichen sprachen.
"Kehrt um, sterbliche, mickrige Brut derer, die unter der Sonne leben...“, befahl der Schädel, der Sid eben noch so hohl angestarrt hatte mit einer Stimme, die nichts lebendiges mehr hatte.
"Ihr wisst ja nicht, wo ihr seid... seid... seid...“, echote ein anderer, sehr viel weiter oben.
„Wie, die wissen nicht, wo sie sind? Schön blöd“, antwortete ein Zerfetzter an dem noch ein Stück Haut hing.
„Blöd? Also als ich hier angekommen bin, gab es wenigstens hier noch Anstand und Höflichkeit!“, brüllte wieder ein anderer, der in der untersten Schicht lag.
„Als du hier angekommen bist, gab es noch Dinosaurier!“, zischte es zurück.
„Ja, aber Dinosaurier mit Anstand!“, höhnte es von oben.
„Ihr Ahnungslosen!“
In diesem Moment hatte Sid sich wieder so weit gefasst, dass er Angst hatte. Und er tat das, was in dieser Situation am logischsten war: Er drehte sich herum und rannte zu Fio.
„Was zum…“, sogar sie war sprachlos und starrte das Tor mit geweiteten Augen und schlaff herunterbaumelnden Armen an.
„Wo…. Wo sind wir?“, stammelte Sid, der sich hinter ihrem Rücken ganz klein gemacht hatte.
„Ihr“, wandte sich einer der Schädel für einen Moment von dem Streit ab, „seid in der Unterwelt.“